Als gäbe es eine Wahl – warum es gerade jetzt auf Digital Leader ankommt: Gedanken von Bernd Preuschoff, CEO von CodeCamp:N

Die Welt, die wir lange Zeit als stabil und sicher empfunden haben, ist ins Wanken geraten. Globale Machtverschiebungen, der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, Energiekrisen, technologische Umbrüche und eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung stellen die Grundfesten unserer wirtschaftlichen und politischen Systeme infrage. Dabei ist nicht nur die geopolitische Ordnung betroffen, sondern auch unser demokratisches und gesellschaftliches Selbstverständnis. Bündnisse und Organisationen, mit denen wir groß geworden sind, werden in Frage gestellt, globale Lieferketten funktionieren nicht mehr wie gehabt und das “Geschäftsmodell Deutschland” benötigt dringend ein Update.
Gleichzeitig erleben wir eine Zeit, in der Technologie in nahezu allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen als Treiber von Transformation, Innovation und Effizienz wirkt. Unternehmen, öffentliche Organisationen und staatliche Institutionen befinden sich inmitten eines tiefgreifenden digitalen Wandels. Doch dieser Wandel verläuft nicht automatisch in eine bessere Richtung. Er muss gestaltet werden, aktiv, mutig und verantwortungsvoll. Und genau hier kommen Digital Leader ins Spiel.
Die neue Verantwortung digitaler Führung
Digital Leader sind heute mehr als nur Expert:innen für Technologie oder Innovation. Sie sind Wegbereiter:innen für nachhaltige Transformationen, die den Menschen, das Unternehmen und die Gesellschaft im Blick behalten. Ihre Verantwortung geht über die Digitalisierung von Prozessen oder die Implementierung neuer Technologien hinaus. Sie müssen Haltung zeigen, Entscheidungen treffen und bereit sein, unbequeme Fragen zu stellen, auch und gerade dann, wenn der Gegenwind stärker wird.
Hier zeige ich sechs Gedankenansätze, warum Digital Leadership und zukunftsorientierte Führung heute entscheidend sind und welche Prinzipien helfen, in einer komplexen Welt handlungsfähig und wirkungsvoll zu bleiben.
1. Vorbereitung auf das Undenkbare
Nur weil eine Entwicklung nicht unseren Überzeugungen entspricht, heißt das nicht, dass sie nicht eintreten kann. Der Angriff auf die Ukraine, Lieferketten-Zusammenbrüche, Inflation, Cyberangriffe oder ein globaler Fachkräftemangel: All das galt für viele Unternehmen lange Zeit als hypothetisch oder unwahrscheinlich. Die letzten Jahre haben uns eines Besseren belehrt.
Gerade Digital Leader sind gefragt, wenn es darum geht, neue Szenarien zu denken und frühzeitig passende Antworten zu entwickeln. Resilienz bedeutet also längst mehr als nur Schutz vor Angriffen, sondern auch die Fähigkeit, strategisch flexibel und mental anpassungsfähig zu bleiben: Organisationen benötigen die Vorstellungskraft, das “Undenkbare” zu denken. Diese Fähigkeit zur “Imagination” wird zu einer Schlüsselkompetenz für zukunfts- und widerstandsfähige Unternehmen.
2. Geschwindigkeit als Führungsprinzip
In einem dynamischen Umfeld sind es nicht die Größten, sondern die Schnellsten, die sich behaupten. Geschwindigkeit wird zur strategischen Ressource. Entscheidungen, die früher Monate gedauert haben, müssen heute in Wochen oder Tagen getroffen werden. Dafür braucht es Mut zur Lücke, klare Prioritäten und den Verzicht auf Perfektion.
Digital Leader müssen in der Lage sein, Tempo aufzunehmen, ohne dabei das Team zu verlieren. Das gelingt durch eine offene Kommunikation, iterative Vorgehensweisen und das Vertrauen in die Kompetenz der Mitarbeiter:innen.
Auch hier gilt die Wertefrage: Wenn Technologie-Oligarchen ihr Silicon-Valley-Motto “Move fast and break things” auch in der Politik in die Tat umsetzen, braucht es einen Gegenpol. Wer dauerhaft nur beobachtet oder erst einmal nur Kommissionen bildet, wird zum Getriebenen. Wer aktiv und schnell handelt, gestaltet und macht ein Gegenangebot.
3. Innovation und Nachhaltigkeit brauchen Guerilla-Taktik
In der derzeitigen weltpolitischen Lage rücken viele Dinge in den Hintergrund, weil sie entweder als “Option für bessere Tage” oder als nachrangig vor dem Hintergrund des Kostensparens angesehen werden. Trotzdem sind diese Themen wichtig: ohne Nachhaltigkeit keine Klimaeffizienz und ohne Innovation keine unternehmerische Zukunft. Daher gilt gerade derzeit: Nicht jede Transformation startet mit einem offiziellen Mandat oder einem Großprojekt. Oft sind es kleine Initiativen, interne Allianzen oder „Rebellen“ im System, die den entscheidenden Unterschied machen. Gerade wenn Organisationen träge sind oder Transformation zur Worthülse wird, braucht es digitale Vordenker:innen mit Mut zur Umsetzung.
Digital Leader dürfen nicht auf die perfekte Strategie warten. Sie starten mit dem, was möglich ist, machen Erfolge sichtbar und holen so Mitstreiter:innen an Bord. Guerilla-Taktik heißt nicht Chaos, sondern kluges Handeln mit begrenzten Mitteln und der festen Überzeugung, dass auch kleine Schritte große Wirkung entfalten können. Und man manchmal die richtigen Dinge tun muss, auch wenn gerade niemand hinsieht.
4. Digitale Resilienz als Pflicht
Die Abhängigkeit von digitalen Systemen ist heute so groß wie nie zuvor und damit auch die Verwundbarkeit. Von der IT-Sicherheit über Lieferkettenmanagement bis zur Souveränität bei Cloud-Infrastrukturen: Unternehmen müssen sich fragen, wie robust ihre digitalen Fundamente wirklich sind.
Digitale Resilienz bedeutet: Systeme so zu bauen, dass sie auch unter Stress funktionieren. Das heißt nicht nur Schutz vor Angriffen, sondern auch das Bewusstsein für Redundanz, Übergangslösungen und Notfallpläne. Wer sich ausschließlich auf den Status quo verlässt, handelt fahrlässig. Ein modernes IT-Risikomanagement bzw. der Anforderungskatalog für eine Systemauswahl wird zukünftig nicht nur die Frage beantworten müssen, was geschieht, wenn die eigenen Systeme angegriffen werden, sondern auch, was geschieht, wenn die eigenen Systeme als Waffe in einem Handelskrieg gegen einen selbst gerichtet werden.
5. Europa braucht eine digitale Vision
In der globalen Digitalwirtschaft sind die großen Plattformen fest in US-amerikanischer oder chinesischer Hand. Doch Europa hat das Potenzial, eine eigene, werteorientierte Antwort zu geben. Dafür reicht Regulierung allein nicht aus, es braucht eine klare, mutige digitale Vision, die europäische Werte in innovative Technologien und Landschaften übersetzt.
Digital Leader in europäischen Unternehmen und Institutionen tragen eine besondere Verantwortung: Sie können und müssen zeigen, dass digitale Innovation und gesellschaftliche Verantwortung sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig beflügeln können. Ob Datenschutz, Nachhaltigkeit oder Diversität, Europas Stärken müssen auch digital sichtbar werden. Die großen digitalen Fragen der Zukunft wird kein Land allein beantworten können, ein Kontinent hingegen schon. Gemeinsam lassen sich Lösungen für Gemeinschaften finden.
6. Führung braucht Haltung
Technologie ist nie neutral. Wer digitale Produkte und Prozesse entwickelt, trifft auch ethische, gesellschaftliche und politische Entscheidungen. Künstliche Intelligenz, Automatisierung, Datenmanagement, all das wirkt in unser Zusammenleben hinein.
Deshalb ist es notwendig, dass Digital Leader Haltung zeigen. Das bedeutet nicht, parteipolitisch zu agieren, sondern für Grundwerte wie Transparenz, Fairness, Nachhaltigkeit und Teilhabe einzustehen. In einer Zeit, in der Populismus und Desinformation zunehmen, braucht es digitale Führungspersönlichkeiten, die glaubwürdig, reflektiert und mutig agieren und Gesicht zeigen.
Fazit: Nicht warten, sondern handeln
Es gibt Zeiten, da reicht Optimierung nicht aus. Zeiten, in denen es nicht mehr um Effizienz, sondern um Richtung geht. Um die Frage: Wohin wollen wir mit unserer Organisation, mit unserer Technologie und letztlich mit unserer Gesellschaft?
Digital Leader stehen heute an einem entscheidenden Punkt. Sie können Getriebene sein oder Gestaltende. Sie können Risiken scheuen oder Chancen ergreifen. Sie können Verantwortung delegieren oder sie übernehmen.
Die gute Nachricht: Wir haben eigentlich alles, was wir brauchen. Ein Europa, das handeln will; andere Länder, die mit Europa handeln wollen und schlussendlich ein Deutschland mit einer starken DNA und vielen starken Unternehmen, nicht zuletzt im Mittelstand.
Also gehen wir es an. Denn eines ist sicher: Die Wahl zu handeln (oder eben nicht) hat Folgen, denn auch Nicht-Entscheiden hat Konsequenzen. Und genau deshalb braucht es jetzt mehr denn je digitale Führungspersönlichkeiten, die sagen:
Als gäbe es eine Wahl… die gibt es eben nicht.
Lasst uns gemeinsam einen Weg gestalten.
Du willst dein Unternehmen neu ausrichten und dabei Verantwortung, Technologie und Zukunft zusammendenken?